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Demokratie geht immer

Mittwoch, 27. Januar 2016 / 11:56 Uhr
aktualisiert: 14:22 Uhr

«Finde in der Presse eine Notiz, wonach in Nordkorea Leute in Straflager verschickt werden, weil sie unwissentlich auf einer Zeitung mit einem Portrait des Diktators Kim Yong Il sassen.» Diese Notiz von Peter Sloterdijk vom 14. Juli, S. 237 in «Zeilen und Tage. 2008-2011» erinnerte mich daran, Herrschaftsfragen endlich von der Identität zu lösen.

«Demokratie lässt sich auch befehlen» - Die Demokratisierung Deutschlands nach dem Krieg - auch durch den Marshallplan - ist Beweis dafür.

«Soll man denn nicht über die Herkunft der Täter berichten?» war eine der am häufigsten gestellten Fragen zu den «Kölner Ereignissen.» Die Frage zeigt, wie sehr auch kritische Menschen im Netz von Identitätspolitik, die sich nicht mehr um wesentliche Themen dreht, gefangen sind. Erinnern Sie sich an Geri Müllers Penis? Richtig. «Wenn Penisse sprechen, verstummt die Demokratie» war meine treffende Analyse zur politischen Berichterstattung. Die Selfie-Affäre fand zur selben Zeit, wie die Verhandlungen und der Abschluss zum Freihandelsabkommens Schweiz-China statt. Richtigerweise stimmten mir alle zu, dass Geri Müllers Schwanz den Polit-Alltag nicht bestimmt. Das Gegenteil ist beim Freihandelsabkommen Schweiz-China der Fall.

Der Realitätsverlust gegenüber dessen, was politisch ist und dessen, was privat ist, führt dazu, dass Kritik, statt dass sie sich gegen Herrschaft, Diktatur, Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Folter und Gefängnis richtet, vor allem um «Eigenschaften» dreht. Die Herkunft der Täter kann man aber demokratisch nicht verändern, die undemokratischen Taten indessen schon.

Clanherrschaft, religiöse Überzeugungen, Frauenfeindlichkeit sind politische Handlungen, die unabhängig von Hautfarbe und Herkunft festgestellt werden können. Dass gewisse Eigenschaften korrelieren, wie die Eigenschaft «Mann» und «Gewalt» kann ja nicht dazu führen, alle Männer einzusperren. Nicht die Eigenschaft ist das Ausschlaggebende. Vergewaltigung ist ja auch nicht Sex, sondern Macht- und Gewaltausübung. Was muss sich also ändern? Richtig. Die politische Macht- und Gewaltausübung.

Was tun?

Es geht um Herrschaft und Macht, nicht um Penisse oder um Herkunft. Wer sich auf die Hautfarbe von Tätern konzentriert, verpasst die Struktur und Wiederholungsmöglichkeit der Tat. Wenn Frauen eingekreist, bedroht und sexuell ausgebeutet werden, dann sind dies Taten, die vorbereitet werden. Wie? Ist die Vorbereitung in der Hierarchie der Flüchtlingsheime zu verorten? Gibt es dort Chefs, die Diskriminierung, Gewalt und Religion befehlen? Welche Demokratie können Menschen, die neu in Deutschland ankommen, leben? Welche Rolle spielen die Übersetzer? Gibt es hier eine Frauenquote zwecks Sicherstellung des Gleichstellungsgebotes? Wer regiert überhaupt in den Flüchtlingsheimen? (Siehe Link zu Welt-Artikel). Sind Flüchtlingsheime gar exterritoriale Rechtsräume?

Die Flüchtlingsheime und «Auffanglager» sind voller Männer und Frauen, die aus Diktaturen stammen. Es spielt keine Rolle, welche Hautfarbe sie haben. Sondern es geht darum, wie Demokratie gerade in den Flüchtlingsheimen und Ghettos gelebt werden kann. Gibt es eine ungeschriebene Verfassung? Dann muss der Staat das Recht auf die Durchsetzung von Rechtsstaat und Verfassung sorgen. Gibt es eine Trennung von Staat und Religion in den Flüchtlingsheimen? Wenn nicht, muss diese durchgesetzt werden. Wer sind die Übersetzer? Sind die Übersetzer demokratiegeschult oder ideologie- und religionsgestählt? Wie steht es mit der Befreiung der weiblichen Gefangenen in diesen Systemen? Werden die einfach den Unterdrückern überlassen?

Die Flüchtlingsheime und die Wohngegenden brauchen Politiken, keine Produkte-Herkunftsbezeichnungen. Die Menschen brauchen Politik, nicht Identität. Demokratie ist unteilbar - dies gilt auch für die SVP oder die CSU.

Es braucht politische Strategien, keine Menschenstrategien.

Ich nehme den Verfassungsgrundsatz von der «Gleichheit der Menschen vor dem Gesetze» ernst. Stellen Sie sich vor, die deutsche Nachkriegsgesellschaft wäre sich selber überlassen worden. Ohne Besatzung, ohne Nachkriegsrecht, ohne Verfassung, ohne Milliardenhilfe für demokratische Reintegration, ohne Schuldenerlass, ohne Schulung, ohne Aufbau eines Beamtenapparates, das Geld wäre von deutschen Übersetzern verteilt worden, die hohe Posten im nationalsozialistischen Regime innegehalten haben. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft wäre von Ehrenamtlichen betreut worden, die jeden Tag ohne die Unterstützung eines demokratischen Rechtsstaates hätten den Alltag gestalten müssen.

Soll man die Herkunft der Täter verschweigen?

Man soll endlich aufhören, die völlig wahnsinnigen und falschen Themen ständig auf die Agenda zu setzen - dies gilt auch für die Antirassisten. Demokratie und Rechtsstaat haben klare Abläufe. Abgrundtiefer Frauenhass muss nicht ständig relativiert, kultiviert und «verstanden» werden - egal woher er stammt. Gleichzeitig braucht es Demokratie in den Flüchtlingsheimen, es braucht eine starke Säkularisierung, klare Abläufe, Strukturen, Integration. Demokratie lässt sich auch befehlen - oder wie war dies nochmals in Deutschland nach 1945?

Politik statt Identität würde auch bedeuten, allen Menschen, die hier wohnen, einen Pass, einen Bürgerstatus zu geben. Die Menschen in diese Demokratie zu verpflichten und nicht in diese Grauzone von Kultur, Religion und Gesellschaft zu stossen. Als Kompensation sollten dafür alle Deutsche, Schweden und Schweizer (alle Länder, die die meisten Flüchtlinge aufnehmen) auch Pässe der diversen Flüchtlingsstaaten Pakistan, Afghanistan, Syrien, Iran, Irak kriegen. Vielleicht kämen so endlich auch demokratische Résistance-Regierungen für die diversen Länder zustande statt diese feststellbare Radikalisierung unter Idioten.

Utopisch?

Wer die Zukunft gestalten will, muss sie neu erfinden. Herkunft ist dabei ein schlechter Ratgeber. Demokratie geht immer. (Regula Stämpfli/news.ch)


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