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Abschied von der Konkordanzschweiz

Mittwoch, 4. Mai 2016 / 08:47 Uhr
aktualisiert: 12:02 Uhr

«Bist Du nicht willig, stimmen wir ab.» So lautet die Devise der unschweizerischen bürgerlichen Mehrheit seit den Wahlen im Herbst 2015. «Wie schamlos hätten Sie es denn gerne?» titelte klug (aber leider zu spät) der TagesAnzeiger. Zeit für eine Umfrage- und Medienschelte.

Der Nationalrat - seit 2016 absolut schamlos.

Wahlen? «Spielen keine Rolle.» Diesen Tenor hörte man letztes Jahr nicht nur unter Gesellschaftsreportern, sondern auch unter gestandenen Medienschaffenden. Umfragen? «Spielen keine Rolle.» Deshalb überliess man Politologen beliebige Umfrageplattformen mit deutlichem Rechtsdrall bei Smartvote. Das Resultat war: Bürgerliche Mehrheiten mit sozialdemokratischer Mittäterschaft punkto neoliberalen TINAs (there is no alternative) in Medien, Universität, Kultur und Sport. Das Wahljahr strotze nur so von Drecks-PR auf allen Ebenen.

Macht ist nicht unsichtbar, sie muss konkret benannt werden und dies geschah im Wahljahr 2015 nicht. Die SVP dominierte alle Kanäle, als ob es nicht auch darum ging, den Juniorpartner FDP am Aufstieg zu hindern. Wenig wurde diskutiert über all jene, die für die FDP und CVP kandidierten und gegen den Staat wetterten, obwohl sie ihr ganzes Leben nur dank dem Staat finanzieren. Wenig wurde bilanziert, was es bedeutet, wenn das Parlament nicht nur bürgerlich dominiert, sondern rechtspopulistisch besetzt ist. Die Kampagnen hüben und drüben wurden von den altbekannten Werbern inszeniert, die Mobilisierung war pitoyabel und folgte zum bekannten rechtsbürgerlichen Wahlsieg von 2015. Die Mobilisierung all jener Menschen, die im Februar 2016 gegen die DSI zur Urne gingen, fehlte leider im Herbst 2015.

Dabei mangelte es nicht an Warnungen, Analysen und Hinweisen. Gerade von dieser Seite wurde enorm viel Verpasstes und Mögliches analysiert. Und immer wieder erfolgte hier der Hinweis auf kritische Berichterstattung inklusive Demoskopie-Demokratiekritik.

Dabei hat das Abschmettern der SVP-Vorlage im Februar 2016 gezeigt, wie viel möglich ist, wenn die Mobilisierung völlig anders verläuft als einige Umfragepäpste (Hermann verstieg sich sogar zur Aussage: «Votum des Volkes gegen die Elite») dies voraussagen.

Und das wäre auch schon im Herbst 2015 einfach gewesen. Wer sich mit Verve in den Wahlkampf gestürzt hat, ohne Angst vor Verlusten - ich erinnere nur an Anita Fetz, die mit einem betont linken Wahlkampf ihre Kampagne lancierte, sich sogar mit SRF anlegte - hat haushoch gewonnen. Alle die, die meinten, 2015 seien Wahlen «Business as usual» reiben sich jetzt die Augen. Die Stadt und der Kanton Bern beispielsweise liefern momentan wieder Anschauungsunterricht im Scheitern. Als klassische Verwaltungsstadt ging es auch in den Wahlen 2015 rot-grün vorwiegend um die Sicherung von Pfründen statt einer lebhaften Debatte unter urbanen, spielerischen, globalkritischen und lokalintellektuellen Kräften ? das Resultat war deutlich. Bern ist Vorreiterin dessen, was u.a. im rot-grünen Lager immer wieder extrem schief läuft («hast Du einen Genossen, tritt ihm auf die Flossen»)... der aktuelle Bruch passt ins Bild. Nun ist der Mist gefahren und das rot-grüne Lager, das sich manchmal lieber selber konkurrenziert, statt sich gegen die wirklichen Machthaber aufzulehnen, muss fassungslos zusehen, wie nun, kompromisslos und zielgerichtet, Macht und Herrschaft - selbst von politisch unerfahrenen bürgerlichen Parlemantariern - ausgeübt wird.

Steuergeschenke für die Reichen? Kein Problem mit einer bürgerlichen Mehrheit. Soviel sparen, dass sogar ein Generalstreik wieder in die Nähe rückt? Kein Problem. Wofür hat man die WAK (Kommission für Wirtschaft- und Abgaben)? Privatisierung von Schulen, Sozialversicherungen, Universitäten, Kulturinstitutionen? Kein Problem. Die Politologen und die PR-Journalisten, die u.a. auch am MAZ, Der Schweizer Journalistenschule, ausgebildet werden, wissen, wie sie die bürgerlichen Interessenverbände, via Handbuch für neoliberale Machtübernahme, beraten müssen.

Tja. Wie meinte Tucholsky, dessen Einsamkeit, mir nicht unbekannt ist: «Man kann den Hintern schminken wie man will, es wird nie ein richtiges Gesicht draus.» Was heisst: Das Parlament hat eine solide neoliberale Mehrheit. Daraus folgt nie eine sozialverträgliche Politik. Doch nur weil «Bern» seine rechtsbürgerliche Fratze wieder und wieder zeigt, heisst dies nicht, dass dies gesamtschweizerisch so sein muss. Hier liegen die grossen Chancen: Denn Politik wird in der Schweiz nicht in Bern, sondern vor Ort gemacht. Hier gilt es, alle Alternativen kreativ zu nutzen. Voraussetzung dafür ist jedoch der Mut, die Dinge mal auch ganz anders umzusetzen als dies das Parlament in Bern vorgesehen hat. Und die Medien und die Umfragen? Nun, auch die haben ihre Deutungshoheit abgegeben. Also: Worauf warten wir noch?(Regula Stämpfli/news.ch)


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