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Daumen des Grauens

Montag, 14. November 2005 / 11:14 Uhr

Vor einiger Zeit ist Neurologen aufgefallen, dass Jugendliche eine wesentlich bessere Steuerung ihres Daumens als frühere Generationen besitzen. Diese ...

Vor einiger Zeit ist Neurologen aufgefallen, dass Jugendliche eine wesentlich bessere Steuerung ihres Daumens als frühere Generationen besitzen. Diese neurologische Anpassung an das Zeitalter der SMS war für das Hirn scheinbar kein allzu grosses Problem.

Doch die Anatomie des Körpers ist weniger flexibel. Der Daumen ist evolutionär gesehen nämlich ein grober Bursche, der es unseren Vorfahren erlaubte, sich durch die Bäume zu hangeln. Als dann unsere fernen Ahnen das Leben auf dem Boden antraten, hätten sie vermutlich diese anatomische Besonderheit bald wieder verloren, wenn sich der Daumen nicht so toll dafür geeignet hätte, mit ihm Knüppel zu greifen und Beutetiere oder Mitglieder anderer Hominidengruppen zu erschlagen.

Doch er blieb uns erhalten und bis in die achtziger Jahre musste er wirklich fast nur greifen oder gelegentlich zum Autostoppen und für aufmunternde Gesten (thumbs up!) hin halten.

Dann kamen die Mobil-Telefone und mit ihnen die SMS. Während am Anfang das Gerät noch plump mit einer Hand gehalten wurde, während die Botschaften mühsam mit der anderen Hand eingetippt wurden, setzte sich bei Hardcore-Simsern und Neu-Usern die Einhand-Technik durch. Und damit auch die neue Mobilität des Daumens.

Dass der Daumen als Bedien-Finger eine Rolle spielen würde, hatte sich zuvor kaum jemand gedacht, doch die Simserei stiess das Tor zu einem neuen Bedien-Universum auf. Eines der ersten Geräte, das spezifisch auf diese Art des Handlings ausgerichtet wurde, war der iPod von Apple.

Dieser trendige MP3-Kult-Player mit Bedien-Rad ist vernünftig fast nur mit dem Daumen zu steuern. Intuitiv und logisch flitzt der einstig als plump verschrieene Finger auf dem Gerätchen hin und her, wählt Songs, verstellt Lautstärke, selektiert Abspiellisten.

Noch wesentlich anspruchsvoller ist des Daumens Job beim Blackberry, dem ultimativen e-Mail Sucht-Tool, das neuerdings Managern beim Stellenantritt implantiert wird (oder ist das nur ein bösartiges Gerücht?). Jedenfalls schreibt der Daumen dort auf der kleinen Tastatur ganze Mails – bei dem Anfall von elektronischer Post, die heute durch die Gegend gepusht wird, ist dies Schwerstarbeit.

Die Folgen der neuen Verwendung des Daumens kommen nun immer mehr zum Vorschein. Intensiv SMS-Schreiber klagen über schmerzende Arme und Sehnen. Ein Vertreter der britischen Chiropraktiker Vereinigung warnt vor der Verwendung des iPod Rades: «Der Bewegungsablauf für die Bedienung des Rades ist völlig unnatürlich und trennt effektiv das Daumengelenk jedes mal wenn man es benützt. Dies verursacht Entzündungen im Daumen und den Fingern die sehr schmerzhaft sein können. Bei manchen iPod-Usern haben wir bereits Probleme im Ellbogen und Nacken gefunden.“ Zudem bestehe die Gefahr, dass Kinder chronische Schäden erlitten, weil sie einen im Wachstum befindlichen Körper schädigen.

Doch nicht nur der iPod-Daumen droht – auch der Blackberry-Daumen ist eine Gefahr, mit der gerechnet werden muss. Bereits gibt es einen Ratgeber der US-Handtherapeuten, wie die Gefahren des Blackberry-Tippens minimiert werden können.

Doch die Risiken sind noch fast niemandem bekannt. Und selbst dann; kaum ein iPoder oder Blackberry-User wird vom geliebten Gadget lassen können, sind doch beides erfolgreiche elektronische Suchtmittel (zu denen sich nun noch die mit den Daumen zu bedienende Sony PSP gesellt!), die, einmal benutzt, kaum mehr weggelegt werden können.

So stellt sich nun die Frage, ob wenigstens die Evolution helfen könnte. Doch das sieht schlecht aus. Die Schäden durch iPod und Blackberry-Benutzung werden kaum so gross sein, dass die daran Leidenden aus dem Gen-Pool eliminiert und am Schluss nur noch jene mit Daumen aus Stahl übrig sein würden. Die Daumen des Grauens werden uns daher noch einige Zeit begleiten.

(von Patrik Etschmayer/news.ch)


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