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Dicke Luft in Wolfsburg

Dienstag, 22. September 2015 / 15:30 Uhr

Der Deutsche Volkswagen-Konzern hat in diesem Jahr bereits turbulente Zeiten erlebt, als der Konzern einen Machtkampf von Patriarch Ferdinand Piëch und Konzernchef Martin Winterkorn erlebte. Der Sieger, Martin Winterkorn, dürfte sich seiner Lorbeeren nicht mehr allzu sehr freuen, denn der Abgasskandal könnte ihn den Job und mehr kosten. Hoffentlich.

Als der Betrug begann: «Clean Diesel» dank Software-Trick.

Wer liest, wie VW die Motorsteuerung von diversen Dieselmotoren manipuliert hat, fragt sich unweigerlich, wie viel kriminelle Energie nötig war, um diese Software zu schreiben und zu implementieren. Die Motorsteuerung erkennt anhand von Lenkungsbewegungen und Gaspedalstellung bei Abgastests, ob ein solcher durchgeführt wird. Ist dies der Fall, wird das Abgasreinigungssystem aktiviert und die bei Dieselmotoren problematischen Stickoxide (NOx) (Vorläuferstoffe von bodennahem Ozon, einem prominenten Verursacher von Atemwegserkrankungen) werden durch den für den Alltagsbetrieb unterdimensionierten Speicherkat gespeichert und dann mit einer Zusatzverbrennung in harmlose Stoffe umgewandelt. Sobald der Abgastest vorbei ist, klinkt sich die Abgasreinigung wieder aus, wodurch der Motor im Alltagsbetrieb etwas leistungsfähiger und sparsamer, aber auch bis zu 40 mal dreckiger wird.

VW hatte es mit dieser Technik geschafft, sich in den USA als führender Autohersteller, was «grüne» Autos angeht, die trotzdem temperamentvoll sind, zu etablieren. Das Argument war, dass umweltfreundlich UND Fahrspass dank «German Engineering» doch geht.

DIESES Image ist VW erst mal los. Und wie. Und nicht nur wegen des Betruges, sondern auch weil es klar ist, dass dieser Beschiss von sehr weit oben implementiert werden musste. Motoren und Motorsteuerung sind der Heilige Gral der Autohersteller. Mit der Motorsteuerungssoftware wird der Charakter des Fahrzeuges entscheidend mitbestimmt, wird die Lebensdauer und die Leistung stark beeinflusst. Eine Software-Komponente zum Beschummeln von offiziellen Prüfprogrammen, die sogar bestimmte Komponenten der Motorperipherie ein- und ausschaltet, muss im Rahmen der Motorentwicklung programmiert werden.

Nun ist es so, dass der VW-Chef Winterkorn nicht irgend ein Seiteneinstiegsmanager ist, der keine Ahnung von Autos hätte. Winterkorn sagte, als er noch Audi-Chef war, von sich stolz, dass er jede Schraube «seiner» Autos kenne. Es ist zwar nicht anzunehmen, dass er als Konzernleiter immer noch jedes dieser Teile kennt, aber so entscheidende Dinge wie die Motorsteuerung, die praktisch vor seiner Nase in Wolfsburg programmiert wird und jede Marke im Konzern betrifft, kann nicht ohne ein OK von weit oben manipuliert werden. Denn schon die Erstellung der Betrugssoftware muss einiges an Geld gekostet haben. Wer sich der heutigen Kostenkontrolle in Grossbetrieben bewusst ist, muss davon ausgehen, dass die Programmierung dieses Moduls offiziell abgesegnet werden musste.

Hier ist eine Firma kriminell geworden und momentan ist erst einmal klar, dass dieser Hack bei den US-Abgastests zur Anwendung gekommen ist. Doch wer weiss, wie kostenbewusst Firmen sind, der hat Grund anzunehmen, dass eine vermutlich teure Software nicht nur an einen Ort verwendet würde. Wenn erst mal das Grundgerüst einer solchen Software vorhanden ist, lassen sich ohne Probleme auch die Profile andere Abgastest-Routinen erfassen und sich diese im Fall einer Prüfung manipulieren. Wer deutsche Gründlichkeit kennt, muss eigentlich davon ausgehen, dass in der Software alle wichtigen Profile für Abgastests auf der Welt abgelegt und abrufbar sind.

Von dem gehen scheinbar auch die Umweltschutzbehörden auf der ganzen Welt aus, denn das betroffene 2-Liter-Diesel-Aggregat nagelt in fast allen VW-Modellen vom Golf aufwärts: weltweit könnten laut VW 11 Millionen Autos betroffen sein.

In Südkorea wurden nun bereits Tests veranlasst, um herauszufinden, ob auch dort geflunkert wurde, Grossbritannien kündet an, im Falle einer Manipulation alle betroffenen Fahrzeuge aus dem Verkehr zu ziehen und auch in der Schweiz, wo der betroffene Motor auch in vielen Modellen von Skoda, Audi und Seat verbaut ist. Dass mit dieser Manipulation die knappen 100 Euro Mehrkosten pro Fahrzeug für einen grösseren Stickstoff-Katalysator eingespart werden sollten, macht die ganze Sache noch trauriger - es ging natürlich wieder um ein wenig mehr Rendite.

Der Fallout für VW und die Autoindustrie im Allgemeinen ist noch unabsehbar. Der Zündschlossskandal um GM, der erst am Anfang des Jahres abgeschlossen wurde, ist noch in frischer Erinnerung. Dort wurden tödliche Mängel über Jahre vertuscht. Bei VW hingegen kommt die neue Dimension der vorsätzlichen Täuschung von Behörden und Kunden für eine kleine Kostenersparnis dazu.

Martin Winterkorn und auch Ferdinand Piëch, der, als die Manipulation im Jahr 2009 eingeführt wurde, noch der starke Mann bei VW war, werden einige Fragen zu beantworten haben. Und Ihr Erbe wird am Ende wesentlich matter glänzen, als sie es sich erhofft haben. Denn wenn sie nichts gewusst haben sollten, hatten und haben sie ihren Laden nicht im Griff. Und wenn doch, wäre es noch schlimmer.

Die Frage über allem, die vor Lauter «was bedeutet das für VW?» noch niemand gestellt hat: Was bedeutet das für den Wunsch Staaten und staatliche Behörden gegenüber Konzernen durch Freihandelsabkommen zu entmachten? Momentan scheinen Staaten als Vertreter und Beschützer ihrer Bürger noch die Oberhand gegenüber multinationalen Konzernen zu haben. Verfehlungen werden von Behörden aufgedeckt (auch wenn in diesem Fall die Non-Profit-Organisation «icct» als erste auf die Spur von VW gekommen ist).

Der Betrug von VW scheint eine gewisse Grundeinstellung von Grosskonzernen zu reflektieren: Gesetze sind nur einzuhalten, wenn sie einen nicht stören. Das Resultat der kommenden Untersuchungen und die Strafe für VW wird viel darüber aussagen, wie Recht oder Unrecht VW mit der Annahme hatte, sich um gesetzliche Vorgaben zu foutieren.

Es wird in dieser Hinsicht viel von der möglichen riesigen Busse für den Konzern gesprochen. Doch diese würde vor allem die Aktionäre treffen und nicht jene, die diesen kriminellen Betrug angeschoben und letztlich zu verantworten haben. Deshalb wird es vor allem darauf ankommen, die Verantwortlichen und Mitwisser zu bestrafen, notfalls auch mit Gefängnisstrafen. Dies wird der wahre Test dafür sein, ob auch heute noch konkrete Taten mit konkreten Strafen und nicht abstrakten Bussen für eine abstrakte Entität namens «Firma» bestraft werden und so allenfalls andere Betrüger aus anderen Konzernen dazu gebracht werden, reinen Tisch zu machen. Denn zu glauben, dass VW die einzigen mit Dreck am Stecken sind, ist ziemlich naiv.

(Patrik Etschmayer/news.ch)


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