RECHT
Anzeige
Freispruch oder lebenslänglich für Camenisch?

Dienstag, 1. Juni 2004 / 20:04 Uhr

Zürich - Die Anklage fordert lebenslänglich, Freispruch die Verteidigung: Weiter auseinander liegen könnten die Anträge im Prozess vor dem Zürcher Geschworenengericht nicht. Dem Angeklagten Marco Camenisch werden Mord und Mordversuch vorgeworfen.

Über Marco Camenischs Schuld scheiden sich die Geister.

Für Staatsanwalt Ulrich Weder steht fest: Marco Camenisch, heute 52-jährig, hat am Sonntagmorgen, dem 3. Dezember 1989 im Bündner Dorf Brusio einen 36-jährigen Grenzwächter getötet. Mit den Schüssen wollte sich Camenisch laut Anklage einer Verhaftung entziehen.

Gemäss Ankläger sind die Indizien eindeutig. Mehrere Zeugen sahen den Täter und erkannten ihn auf Fotos als Marco Camenisch; die Pfarrersleute, bei denen er kurz nach der Tat Einlass verlangte, bezeugten, dass Camenisch den Sonntag bei ihnen verbracht hatte, und seine Mutter bekräftigte dies.

Indizien belasten Camenisch

Zudem erwies sich der Revolver, den Camenisch 1991 bei seiner Verhaftung in Italien auf sich trug, als Tatwaffe. Alle Indizien zusammen ergeben gemäss Weder ein stimmiges Bild, das keinen vernünftigen Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten zulasse, wie er in seinem Plädoyer ausführte.

Ganz anders sieht dies Verteidiger Bernard Rambert. Marco Camenisch habe von Anfang an nie eine Chance gehabt, nicht der Täter zu sein. Der Verteidiger wies auf unterschiedliche Zeugenaussagen vor allem in Bezug auf das Aussehen des Täters hin.

Viele Schludrigkeiten bei den Ermittlungen

Die Tatsache allein, dass Camenisch am fraglichen Sonntag im Dorf war, sei kein Beweis dafür, dass er der Täter sei. Ebensowenig sei dies dadurch erwiesen, dass er den Tatrevolver auf sich getragen habe. Im übrigen hätten sich die Ermittlungsbehörden so viele Schludrigkeiten geleistet, dass nicht einmal sicher sei, dass in Rom und in Zürich dieselben Projektile untersucht worden seien.

Nach Darstellung des Verteidigers gibt es viel zu viele Zweifel an der Täterschaft Camenischs, als dass ein Schuldspruch resultieren könne. Das Gericht habe sich an den Grundsatz im Zweifel für den Angeklagten zu halten.

Urteil wird am Freitag eröffnet

Auch im Anklagepunkt Mordversuch im Zusammenhang mit dem Ausbruch von 1981 aus der Strafanstalt Regensdorf ZH sind die Parteien diametral verschiedener Meinung. Bei der Flucht wurde ein Aufseher erschossen, einer wurde schwer verletzt und einer wurde durch Zufall nicht getroffen.

Die neun Geschworenen und die drei Berufsrichter beraten nun über Schuld und allfälliges Strafmass. Das Urteil wird am Freitagnachmittag eröffnet.

(rp/sda)