Furiose Götterdämmerung mit Nachgeschmack Montag, 13. März 2000 / 15:38 Uhr
Stuttgart - Der Stuttgarter Inszenierungsreigen von
Richard Wagners «Ring»-Tetralogie ist am Sonntagabend spektakulär
abgeschlossen worden.
Von Martin Oversohl, dpa
Auf den Tag genau ein Jahr nach der «Rheingold»-Premiere wurde
die «Götterdämmerung» als letztes Werk der Opernfolge «Der Ring des
Nibelungen» furios und donnernd präsentiert, doch auch amüsant und
ungewöhnlich.
Mit Spannung erwartet, manövrierte der zuletzt als Regie-
Revoluzzer kritisierte Peter Konwitschny das inhaltsschwere
Schlussstück in weiten Teilen souverän und mutig durch das
viereinhalbstündige Meer von Intrigen und Verrat, Liebe und
Totschlag.
Siegfried als Asterix-Verschnitt
Die wenigen obligatorisch scheinenden Buh-Rufe gingen im
tumultartigen Applaus und den «Bravo»-Rufen der 1200 Zuschauer im
ausverkauften Opernhaus weitgehend unter. «Alltäglich» sei der
Niedergang der machtgierigen germanischen Götterwelt, hatte
Konwitschny vor der Premiere behauptet.
Dem entsprechend versetzt der zuletzt wegen seiner
skandalträchtigen Dresdner «Csardasfürstin» in die Schlagzeilen
geratene Regisseur das Geschehen um den titelgebenden Ring
kurzerhand in einen zeitlos scheinenden Alltag zwischen Küchentisch
und Flaschenbier.
Der Kampf um den Ring des Nibelungen spielt sich in und um einen
dreh- und wendbaren Holzkasten ab (Bühne: Bert Neumann), der einmal
einer Schaubühne gleicht, mal einer Festhalle, dann wieder - in
Plastik gehüllt - einem billigen Wohnblock.
Dort zeigt sich Siegfried (Albert Bonnema) anfangs als
fellbewehrter Asterix-Verschnitt in Oberförster-Manier, später als
Beamtentypus, stets jedoch zu Scherzen aufgelegt, immer naiv und
nichts ahnend dem Tod durch die Hand Hagens (Roland Bracht)
entgegengehend.
Hagen im Mittelpunkt
Diesem gönnt Konwitschny die eigentliche Hauptrolle: Er zeigt
den Hasser eindrucksvoll als gescheiterte und isolierte Kreatur, in
starkem Kontrast zu der weitgehend blassen Figur des eigentlichen
Helden Siegfried.
«Ich achte darauf, dass jeder Zuschauer das Stück verstehen
kann, auch wenn er nicht eine einzige Zeile darüber gelesen hat»,
meint Konwitschny über seine Bühnenarbeit. Zum grossen Teil ist ihm
das auch in Stuttgart gelungen.
Immer wieder stösst der Regisseur mit seiner vom Pathos
befreiten Interpretation den wagnerschen Ernst vom Thron, vor allem
im ersten Drittel durchbricht wiederholt Heiterkeit das tragische
Schicksal des naiven Siegfried im Banne des hinterhältigen Hagen.
Das zweite Drittel wird vor allem von dem hervorragenden
Stuttgarter Chor und dem brillanten und wohltuend klar singenden
Hernan Itturralde als wehrloser Gunther getragen.
Aufgeklärte Brünnhilde
Dennoch bleibt diesmal im Vergleich mit den drei vorangegangenen
Inszenierungen des «Ring»-Projekts ein schaler Nachgeschmack, denn
der wiederholt als «Regisseur des Jahres» ausgezeichnete
Konwitschny bleibt in der wuchtigen Schlussszene, dem Niedergang
der Götterwelt, blass und ideenlos.
Wo sich eigentlich der «Ring» auch inhaltlich schliessen und die
Rheintöchter erneut in den Besitz des umworbenen Gutes kommen
sollen, beschränkt sich die Inszenierung auf eine stimmgewaltige
Galgenpredigt der aufgeklärten Brünnhilde (Luana DeVol), die das in
den erleuchteten Reihen sitzende Publikum zur Rechenschaft zieht.
Ihr Tod, der Fall der Götterburg Walhall in einem Flammenmeer
und das Ende Hagens in den Fluten des Rheins werden lediglich
mitgeteilt - in gedruckten Zeilen auf einer Leinwand.
Vier verschiedene Regisseure
Konwitschnys Inszenierung setzt den Schlusspunkt unter den
«Ring»- Zyklus der «Oper des Jahres». Der Stuttgarter Intendant
Klaus Zehelein setzte dabei auf vier verschiedene Regisseure und
Bühnenbildner für die Neuaufführungen.
Vor Konwitschny inszenierten Joachim Schlömer den
«Rheingold»-Teil, Christof Nel die «Walküre» und Jossi Wieler den
«Siegfried».
Im April und bis zum November sind nun sechs Zyklen des «Rings»
geplant, alle unter der musikalischen Leitung von Lothar Zagrosek.
(sda)
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