VALENTIN ABGOTTSPON
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Heilige Lärmbrüder

Donnerstag, 14. August 2014 / 11:23 Uhr

Wieso man sich nicht nur beim heiligen Bimbam auch mal für Gleichbehandlung und -berechtigung stark machen könnte, statt ihr immer nur im Weg zu stehen.

Neuer und alt eingesessener Religionslärm: Verfassungsmässig gleich zu behandeln, eigentlich.

Es wurde diese Woche berichtet, dass im Raume Zürich über die Hälfte der Kirchgemeinden ihren Glocken mehr oder weniger freiwillig (d.h. auf Drängen der Anwohner, seltener wegen Gerichtsprozessen) eine Nachtruhe verordnet haben. Das ist begrüssenswert.

Juristisch ist es so, dass Glockenlärm eben kein «Lärm» sei. D.h. die von den Glocken verursachten Geräusche sind kein ungewolltes Nebenprodukt beispielsweise von Verkehr oder Industriemaschinen, sondern es ist genau gerade intendiert, dass die Töne von den Anwohnern wahrgenommen werden sollen. Daher müssen sich die Geräusche von Kirchtürmen nicht an die nationale Lärmschutzverordnung halten. Ich halte diese Argumentation für an den Haaren herbeigezogen. Es ist für die Kirchen kein Aufwand, die Glocken abzustellen. Und ich halte es nicht für ein von der Religionsfreiheit abgedecktes Recht, die Umgebung durchdringend und fortwährend zu beschallen. Obwohl man juristisch also immer wieder gegen den Lärm oder eben Nicht-Lärm scheitert, sind immer mehr Kirchgemeinden vernünftig und wollen nicht auch nachts noch ihr Revier akustisch markieren. Das Revier gehört ihnen ja ohnehin nicht mehr.

Leider haben sich in letzter Zeit immer wieder viele Politiker dagegen gewehrt, dass die Lärmschutzverordnung auch für Glockengeräusche gelten soll. Ähnliches habe ich neulich auch wieder im Wallis festgestellt: Statt z.B. staatliche Neutralität herzustellen und die Kruzifixe aus den Gerichtssälen zu entfernen, wird von christlichen Politikern argumentiert: «Es gibt Wichtigeres! Das ist Zeitverschwendung! Konzentrieren wir uns auf lohnendere Ziele.» Ich finde und fand derlei Argumentationsart immer beschämend. Statt bestehende Ungerechtigkeiten und Ungleichbehandlungen zu beseitigen, zumal es ja fast keinen Aufwand kostet, wehrt man sich lieber mit grosser Geste und tut so, als ob man, wenn im Gerichtssaal kein Kruzifix mehr thront, die christliche Religion verboten hätte. Statt einer solchen Überreaktion wünschte man sich öfter bedächtiges, unaufgeregtes Einhalten der Schweizer Bundesverfassung und von Bundesgerichtsurteilen. So auch hier beim Glockengeläut: Warum nicht (ja, genau!) stillschweigend die Glockengeräusche reduzieren und alle Lärmer gleich behandeln? Sich gegen die Gleichbehandlung zu stemmen ist doch auch ein immenser Aufwand? Da könnte man seine Zeit doch sogar als so genannt christlicher Politiker angemessener investieren, n'est-ce pas?

Die (seien wir gütig und verwenden mal folgendes Adjektiv) «interessanteste» Stellungnahme zum Thema hat Martin Ebel (Kulturredaktor beim Tagesanzeiger) geschrieben. Über Tradition, Kultur und so weiter. Über Swissness glaube ich auch. Über die besänftigende Wirkung des Glockenschlages und abendländische Gefilde. Ein Kommentator hat dort sinngemäss treffend erwidert: «Ja, wenn man nachts aufwacht, und mehr als vierzehn Minuten ohne Glockenschlag verbringt, dann wächst in einem doch unvermeidlich ein mulmiges Gefühl heran und man kann vor lauter bzw. leiser Angst nicht mehr einschlafen...»

In Rendsburg bei Hamburg hat die Stadt unlängst fünfmal täglich den Gebetsruf von Minaretten des islamischen Zentrums erlaubt. Allerdings nur von 6 Uhr bis 22 Uhr. Gebetsrufe in der Nacht wurden untersagt. Zudem sei der Gebetsruf nur knapp über 40 Dezibel laut und somit schalltechnisch kein grösseres Problem. Aus Integrationsgründen würde ich mir ja wünschen, dass auch die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters die Erlaubnis bekommt, fünfmal pro Tag die Gläubiginnen und Gläubigen zur Nudelmesse zu bitten. Von mir aus auch mitten im Wohngebiet. Ich hätte ja nichts dagegen, meine Wohnung hierzu als «Pastarett» zu bezeichnen. Aber die Pastafari sind hierzulande halt schon sehr gut integriert, stellen fast kein Problem dar und man braucht ihnen daher staatlicherseits und integrationstechnisch nicht mehr so weit entgegen zu kommen. Kirchengeläut erreicht in vielen Schweizer Städten und Dörfern übrigens locker weit über 40 Dezibel. Und viele Kirchtürme stehen unmittelbar neben Wohnhäusern.

Mir scheint es allgemein immer wieder eine gute Idee: Schauen, wie wir Neuankömmlinge beurteilen und uns dann beispielsweise fragen: «Wenn viele das Gefühl haben, wir dürfen den Islam nicht als 'Landeskirche' anerkennen, weil gewisse demokratische, freiheitliche, gesellschaftliche Werte dort im Allgemeinen nicht hoch genug gehalten werden und Frauen sowie Homosexuelle diskriminiert und gering geschätzt werden... Wenn dem so ist, würden wir dann also, wenn die katholische Kirche ein 'Neuankömmling' in der Schweizer Gesellschaft wäre, sie in den Status einer 'Landeskirche' heben? Und wenn nicht: Warum sollten wir sie jetzt nicht aktiv daraus wieder rausdrängen, da sie gewissen zeitgemässen Vorstellungen nun wirklich nicht mehr entspricht?» Wir sollten diese Tendenz zum Status quo immer wieder durchbrechen können und Gewohnheiten hinterfragen sowie (sogar von vielen als kleine angesehene) Ungerechtigkeiten bekämpfen.(Valentin Abgottspon/news.ch)


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