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Kampf der Kulturen? Welche Kultur denn?

Mittwoch, 23. März 2016 / 08:26 Uhr
aktualisiert: 09:13 Uhr

Deutschlandradio «feiert» 20 Jahre Samuel P. Huntington. Das Timing war - gelinde gesagt - ungeschickt, fiel die Sendung doch mit den Terrorattacken in der europäischen Hauptstadt zusammen.

Der «Kampf der Kulturen» von Samuel P. Huntington ist der «Mein Kampf» für das 21. Jahrhundert.

«Wie eine Bombe» schlug das Buch ein, meint Bassam Tibi im Deutschlandradio Kultur. So war es auch gemeint. Ähnlich wie später das Buch von Thilo Sarrazin, das den Boden für die rechtsextreme AfD und deren Wahlerfolge in Deutschland vorbereitete.

Der «Clash of Civilizations» bildete den Auftakt zur erfolgreichen neoliberalen Revolution unter der Führerschaft der USA.

Grössere Zusammenhänge werden meist erst in der Rückschau bewusst. Der Fall der Mauer machte den Kapitalismus zur Weltreligion. Als solche brauchte sie eine neue Gegnerin. Russland lag am Boden und darüber hinaus neoliberale Enklave von Goldman Sachs. Das kommunistische China bot sich als Gegner auch nicht mehr an. Die brutale Niederschlagung der Jugendbewegung 1989 hatte bewiesen, dass in China nicht der Kommunismus entscheidend war, sondern der Kapitalismus. Die auf dem Tiananmen-Platz ermordeten Jugendlichen kämpften nämlich nicht gegen den Kommunismus, sondern für Partizipation am wachsenden Reichtum, verbunden mit politischen Rechten. Ihr Blut fliesst mit den unzähligen demokratischen Aufständen, die durch Kapitalismus&Panzer niedergeschlagen wurden, zusammen, und verbindet sich mit dem Blut, das alle totalitäre Regime immer und zuallererst unter StudentInnen und Intellektuellen spritzen lassen (jüngstes Beispiel dafür die Türkei).

Geopolitisch, ölpolitisch, finanzpolitisch zeichnete sich seit 1989 ab: Der Islam inklusive unabhängige Staaten wie Irak, Iran, Afghanistan boten sich als ideale Feindbilder an. The «Scramble for Africa» erledigten die USA via IWF, stürzten den Kontinent in einen jahrzehnte-, ja jahrhundertelangen Bürgerkrieg, verbunden mit epidemischen Hungersnöten und Seuchen. Wer einen «Schuldenerlass für Entwicklungsländer»propagierte, wie der ehemalige Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, wurde noch 1989 kurzerhand umgebracht. Schliesslich wusste die CIA seit der Ermordung von Aldo Moro und der Zerschlagung des historischen Kompromisses zwischen Christdemokraten und Kommunisten, welche Massnahmen «notwendig» sind, wenn es um «grössere» Ziele geht (von Allende in Chile, von Mohammed Mossadegh in Persien und unzähligen anderen Coups, politischen Morden, Bürgerkriegsoperationen mal nicht ausführlich gesprochen).

Irak, Iran, Afghanistan boten sich also perfekt an: Als Zielscheibe verbliebener «terra occupata» und Feindbild Islam (das perverserweise vor allem im befreundeten Saudiarabien dem Hassbild entspricht). Am 11. 9. 2001 ist dann der geopolitische Schachzug perfekt: Die verbliebenen Konkurrenzmodelle der USA werden einige Jahre später in Schutt und Asche gelegt.

Die Ideologie des «Kampfes der Kulturen» war der Überbau für die geopolitischen und finanzkapitalistischen Gewalt- und Herrschaftsansprüchen der Elite, die seit dem Aufstieg des Faschismus im Europa der 30er Jahre (siehe mein Artikel zum «Atlas wirft die sozialdemokratische Welt ab») auf ihr Revival warteten. Damals wie heute tummeln sich dieselben Familien, Akteure und Institutionen (Ausnahmen bestätigen die Regel. Eliten sind seit Jahrhunderten nach wie vor ein Inzuchtbetrieb). Zudem wurden in den letzten 20 Jahren die noch verbliebenen Reste sozialdemokratischer Politik mithilfe der Sozialdemokraten ausradiert - vor allem weil auch deren ideologische Aufrüstung («schlanke Verwaltung», internationale Bildung, Outsourcen etc.) so perfekt geklappt hat.

Die bürokratischen Verwertungsmodelle der «Deregulierung», «Privatisieriung» und Kreditpunktesyteme gegen die Menschheit fassten sogar in der kleinen, föderalistischen Schweiz Fuss. Und dort, wo die Amerikanisierung noch Lücken aufweist, helfen dann Jubiläen zu Samuel P. Huntington, Thilo Sarrazin und andere alt-Männer-Reminiszenzen weiter: Sloterdijk und Safranksi lassen grüssen.

Fazit: Der «Kampf der Kulturen» von Samuel P. Huntington ist der «Mein Kampf» für das 21. Jahrhundert. Damals wie heute wird sich diese Erkenntnis sicherlich erst in der Rückschau durchsetzen. In der Zwischenzeit sterben Tausende von Menschen durch die Hand von Befehlsempfängern, die tatsächlich meinen, sie seien Akteure in einem Religionskrieg, wenn sie in Tat und Wahrheit nur die mordenden und brandschatzenden Bauern auf dem geopolitischen Schachbrett darstellen - auf einem Schachbrett übrigens, wo beide Könige demselben Spieler gehören.

PS: Analogien zu den 30er Jahren gäbe es zuhauf: Finanzkrise, Ermächtigungsgesetze, Überwachung, Spitzelei, Stürmer-Medien, Hitler-Stalin-Pakt (Türkei und EU, USA und Saudi-Arabien z.Bsp), Hitlerjungend, Parteikader, Uniformen, etc. Es ist der Blick, der, einmal in eine andere Richtung gelenkt, Unglaubliches zu entdecken vermag. (Regula Stämpfli/news.ch)


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