AUSSTELLUNGEN
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Karlheinz Weinberger zeigt in Zürich Halbstark-Fotografien

Dienstag, 28. März 2000 / 15:45 Uhr

Zürich - Karlheinz Weinberger war 37-jährig, als er 1958 in Zürich «seinen ersten Halbstarken» fotografierte. Aus seinem Archiv hat das Zürcher Museum für Gestaltung eine historische Ausstellung fürs Auge geschöpft.

Jimmy Oechslin hiess der junge Mann, der Karlheinz Weinberger in die Welt der Halbstarken einführte: In engen Jeans und verzierten Cowboystiefeln, mit offener Jeansjacke, Rockerfrisur und Zigarette im Mundwinkel lehnt er locker an einer Säule im Sihlhölzlipark.

Idol Elvis
Rund 200 solcher Oechslins, alle zwischen 14- und 20-jährig, lebten Ende der 50-er Jahre in Zürich. «Verlauste» nannte sie der bürgerliche Jargon, «Füdlibürger» tönte es zurück aus den einschlägigen Bars und Cafés oder von den Rummelplätzen, wo sich die Jugendgangs mit Vorliebe trafen.
Ihre Idole hatten die Rebellen aus Übersee importiert: die wilden Marlon Brando, James Dean, Little Richard und immer wieder Elvis Presley, den King of Rock'n'Roll. Sie zierten Gürtelschnallen oder Brustmedaillons; und mit ihnen unterstrichen die Halbstarken ihre Auffassung, dass nicht Wohlstandseifer, sondern allein spontanes Erleben das Leben lebenswert macht.

Spontane Bilder aus Leidenschaft
Ganz dem spontanen Eindruck verpflichtet war auch Karlheinz Weinberger. «Sein Interesse galt weder einem gesellschaftlichen Problem noch einer pittoresken Randgruppe», schreiben die Kuratoren Pietro Mattioli und Ulrich Binder im Ausstellungskatalog, «sondern dem Leben ausserhalb des Gewohnten.»
Um einmalige Situationen festzuhalten, habe Weinberger selbst angeschnittene Figuren, Bewegungsunschärfen, schiefe Horizonte und unzureichende Lichtverhältnisse in Kauf genommen. Allerdings sind es gerade diese scheinbaren Unzulänglichkeiten, welche die über 100 weitgehend schwarzweissen Fotografien sehenswert machen.
Denn da war einer ganz offensichtlich nicht in erster Linie aus wissenschaftlicher Neugier, sondern mit Leidenschaft am Werk. Weinbergers Archiv dokumentiert nicht kühl von aussen, sondern erzählt bilderreich und engagiert mitten aus der Szene heraus.
Mit dabei war der Fotograf auch, als die Halbstarken um 1964 ihre Monturen an die Nägel hängten oder auf der Petersinsel im Bielersee gar verbrannten. Und er war wiederum dabei, als sich Ende der 60-er Jahre mit der Rocker- und später mit der Biker-Szene neue Erlebnisfelder «ausserhalb des Gewohnten» öffneten. So umfasst das Archiv des 79-jährigen Fotografen heute rund 4000 Schwarzweissfotografien und über 10 000 Farbdias.

Spannender Katalog
«halbstark» ist eine Ausstellung fürs Auge. Zwar sind in Vitrinen Mode- und andere Werbejournale ausgelegt, die den Wohlstandseifer der «Füdlibürger» um 1960 exemplarisch umreissen. Spannteppiche, Einbauküchen, Jugendmöbel-Programme, Fernseher, Transistorradios, Girl-Jacken, Herren-Kittel und andere Wohlstandserscheinungen sind da abgebildet.
Die Halbstarken selber historisch-kritisch zu würdigen, unterlässt die Ausstellung jedoch weitgehend. Teilweise fehlen bei den präsentierten Dokumenten gar die Quellenhinweise. So liegt in einer Vitrine ein aufschlussreiches «Bandengesetz», das die beiden Kuratoren erst auf Nachfrage als dasjenige der Luzerner Halbstarken- Gang «Tornados» aus dem Jahre 1962 identifizierten.
Aufschlussreicher in historischer Beziehung ist der ebenfalls von Ulrich Binder und Pietro Mattioli herausgegebene Katalog. Er enthält neben zahlreichen Fotografien zwei interessante Beiträge der Historiker Thomas Meyer und Martin Jäggi.
(klei/sda)