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Kirchenschutz statt Datenschutz?

Donnerstag, 3. Mai 2012 / 20:45 Uhr

Im Kanton Aargau wehren sich kirchliche Kreise gegen den Datenschutz im Spital, um sich den Zugriff auf ihre Mitglieder im Krankenbett zu sichern.

Sollen Kircheninteressen vor den Datenschutz kommen? Im Aargau gibt es solche Bestrebungen.

Im Widerspruch zum allgemeinen Datenschutz soll gemäss einer Motion eines EVP -Kantonsrates den Landeskirchen via Gesundheitsgesetz ein Anspruch auf Mitteilung von Namen und Adressen von Mitgliedern zugestanden werden, die sich als Patienten im Spital aufhalten. Damit soll den Kirchgemeinden der uneingeschränkte Zugriff auf jene 90 Prozent ihrer Mitglieder ermöglicht werden, welche die Kirche nicht besuchen und lediglich aus Tradition und wegen der sogenannten «Kasualien» (Taufe, Hochzeit und Abdankung in der Kirche) noch Mitglied sind.

Der Staat soll als Vollzugsgehilfe einer nicht existenten Bindung an die Kirchgemeinde fungieren - staatlich angeordnete Seelsorge? Das ist pervers, das ist Kirchenschutz statt Datenschutz und könnte sich in der politischen Debatte sogar als Bumerang erweisen - es verletzt nämlich nicht nun den Datenschutz sondern auch die Religionsfreiheit der Kirchenmitglieder, denen es - trotz Mitgliedschaft - freigestellt ist, ob sie den Kontakt mit der Geistlichkeit wünschen oder nicht. Die von den Kirchen vorgebrachten Probleme von Notfällen betreffen im Übrigen nicht die meisten, sondern Einzelfälle, und aktive Kirchenmitglieder und ihre Angehörigen wissen, dass sie selbstverständlich jederzeit Anspruch auf den Besuch der zuständigen Pfarrperson haben - aber eben nicht umgekehrt.

Auch in anderen Kantonen beginnt der Datenschutz zu greifen und werden die Kirchen nicht mehr automatisch mit vollständigen Patientenlisten bedient. Das ist ganz im Sinne des Datenschutzes. Die Konfession gehört nämlich zu den «besonders schützenswerte Personendaten», die nur aufgrund einer gesetzlichen Grundlage oder der ausdrücklich erfolgten Einwilligung der betroffenen Person weitergegeben werden dürfen. Das muss auch und gerade im Spital gelten, weil Menschen im Krankenbett nicht zugemutet werden kann, einen ungebetenen Besuch der Seelsorge abzuwehren.

Falls dieses Zugriffsrecht im Aargau beschlossen würde, müssten wohl die automatische Beschaffung der Daten über die Konfession in den Eintrittsformularen der Patienten einer rechtlichen Beurteilung zugeführt werden - für die medizinische Behandlung ist sie auf jeden Fall nicht nötig und kann deshalb aus Sicht des Datenschutzes höchstens eine erklärtermassen freiwillige Angabe sein.

In der Reihe «Freiburger Veröffentlichungen zum Religionsrecht» ist 2008 eine Masterarbeit erschienen, die noch weiter geht: Sie schlägt vor, dass der Bund die Abrechnung der Kosten der kirchlichen Spitalseelsorge über die Krankenkasse vorsehen soll, weil sonst eine Ungleichbehandlung von Gläubigen und Ungläubigen entstehen würde, wenn letztere ihren allfälligen Beistand über kassenpflichtige Psychiatrieleistungen beziehen können. Immerhin musste der Autor selber feststellen, dies müsste «ausdrücklich geschehen, denn die seelsorgerliche Betreuung wird wohl kaum den allgemeinen Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit medizinischer Leistungen (Art. 32 Abs. 1 KVG) genügen können». So ist es. (Reta Caspar/news.ch)