HINTERGRUND
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Künstliche Hektik auf dem Nebenschauplatz

Donnerstag, 21. Februar 2008 / 00:00 Uhr
aktualisiert: 19:10 Uhr

Mit einer wundersamen Wende in Hamburg rechnet beim FC Zürich nach dem enttäuschenden 1:3 im Hinspiel des UEFA-Cup-Sechzehntelfinal niemand ernsthaft. Im Norden Deutschlands geht es für den Schweizer Meister in erster Linie um die Begrenzung des Imageschadens.

Kann Bernard Challandes seinen FCZ zu einem Exploit führen?

Die winzige Hoffnung der Zürcher, im Europacup von ihren erheblichen Sorgen des Alltags ablenken zu können, ist seit dem letzten Donnerstag im besten Fall noch ein illusorischer Wunsch.

An der Reeperbahn ist das Unterhaltungsprogramm heute Donnerstag vermutlich spannender als die sportlichen Perspektiven der Gäste.

Nichts deutet darauf hin, dass die routinierten Hamburger in Bedrängnis geraten könnten - zumal ihr Coach Huub Stevens nicht als Freund der Nonchalance gilt.

Unrealistischer Coup

Aus der Optik der krassen Aussenseiter steht in der Hansestadt anderes als ein unrealistischer Coup im Vordergrund; zum Beispiel das Ende diverser Serien.

Sie haben die letzten drei UEFA-Cup-Spiele mit einem miserablen Torverhältnis von 1:9 verloren. In sämtlichen nationalen und internationalen Wettbewerben gewann der FCZ nur eine von neun Partien und schoss kärgliche fünf Tore.

Es gibt derzeit wenig positive Anhaltspunkte. Der späte Punktgewinn gegen Basel bildet die Ausnahme. Das 1:1 gegen die Bebbi am vergangenen Sonntag gewichten die «gefallenen» Meister deshalb speziell hoch. Kein Thema ist bei der Zürcher Nachbetrachtung die ungewöhnlich lange Basler Absenzenliste.

Betont wird lieber der Wert des Ausgleichs. Der letzte Eindruck sei entscheidend, nicht die Art und Weise (des umstrittenen Penaltypfiffs gegen Basel). In der sportlichen Not funktioniert die Eigenwahrnehmung ohne Filter.

Abdis Erklärungsnotstand

Almen Abdi hat den Höhenrausch der letzten Jahre miterlebt. Eine Erklärung, weshalb der FCZ in den vergangenen Monaten derart in die Krise abgerutscht ist, hat der Ur-Zürcher im Team nicht zur Hand.

«Die Leichtigkeit fehlt. Alle spüren den Druck und sind irgendwie blockiert», sinnierte der 21-Jährige am Flughafen in Kloten vor der wohl letzten Dienstreise dieser Saison. «Uns fehlt ein Ergebnis, das die Bremse löst.»

Die schwarze Serie hat auch bei Abdi Spuren hinterlassen. Erstmals verläuft die Formkurve auch beim 21-jährigen Talent konstant in die falsche Richtung.

Er ist zwar willens, sich dem ungünstigen Trend zu widersetzen, die Lösung kennt der Mittelfeldspieler indes auch nicht: «Ich weiss nicht, woran es liegt. Aber die fehlenden Leader sind kein Grund. Mehrere Spieler dieser Mannschaft sind Meister geworden.»

Orientierungslosigkeit

Mit seiner Ratlosigkeit steht Abdi nicht allein da. Coach Bernard Challandes scheint von der Orientierungslosigkeit ebenso befallen zu sein.

Den Fehler, seinen fast beispiellos akribischen Vorgänger Lucien Favre zu kopieren, beging er nicht. Aber seine Passion hat der feurige Waadtländer bislang nicht auf die Equipe übertragen.

Spektakulär ist der FCZ schon länger nicht mehr. Dass ihm aber auch die Passion abhanden gekommen ist, spricht nicht für die Arbeit von Challandes.

Chikhaoui in der Extremisten-Ecke

Wenn auf der Bühne des Sports die Würfel frühzeitig gefallen sind, verlagert sich das Geschehen im Fussball-Business nicht selten auf die Nebenschauplätze.

Drei Tage nach einer heiklen Passage in einem Interview mit Zürichs Regisseur Yassine Chikhaoui schuf das deutsche Boulevard-Blatt «Bild» ausserhalb der Rasenfläche einen neuen Brennpunkt: «Sympathisiert er mit radikalen Moslems?»

Weil sich der junge Tunesier in einem Gespräch mit dem Sonntags-Blick nicht klipp und klar von der tödlichen Jagd auf die Mohammend-Karikaturisten distanzierte, platzierte die Zeitung «den Zürich-Zidane» vor 12 Millionen Lesern in der Extremisten-Ecke.

FCZ-Präsident Ancillo Canepa, der das Interview autorisiert hatte und sich an den Aussagen nicht störte, taxierte die Geschichte als «unnötig und übertrieben».

Yassine Chikhaoui liess sich auf der Reise nach Hamburg vom angeblichen «Riesen-Wirbel» (Bild) nicht beeindrucken. Der streng gläubige Tunesier signalisierte mit seiner Mimik allerdings auch, dass er sich zum unangenehmen Thema lieber nicht mehr äussern mag. Zur allgemeinen Beruhigung der (politischen) Lage: Vom Bundesgrenzschutz ist der Fussballer in der Hamburger Ankunftshalle nicht empfangen worden.

(von Sven Schoch, Hamburg/Si)