Mit einem Sieg gegen den ehemaligen Welt- und Europameister wäre den Schweizern die Qualifikation für die Endrunde 2006 in Deutschland vorzeitig nicht mehr zu nehmen, sofern die Iren in Nikosia gegen Zypern Punkte einbüssen. Weniger günstig wäre indes ein erster Fehltritt, denn im Falle einer Niederlage in Bern würde Kuhns Mannschaft schwer in Bedrängnis geraten. Derweil die Franzosen das Ticket gesichert hätten, müssten die Schweizer in Dublin zum Abschluss mit grösster Wahrscheinlichkeit gewinnen.
Die Schweizer kalkulieren selbstredend mit dem idealsten Szenario. Aus ihrem WM-Camp in Feusisberg sandten sie entsprechende Signale der Stärke. Es ist kein zur Schau getragenes Selbstbewusstsein. Ihre Stilsicherheit haben sich die Schweizer erarbeitet. Seit der in verschiedener Hinsicht missratenen EM in Portugal verlor die Equipe keine der elf Partien. In der WM-Kampagne schuf sie sich in acht teils schwierigen Spielen das Fundament zur exzellenten Ausgangslage.
Gewiss, noch entschieden die Schweizer in der ausgeglichenen Gruppe 4 keinen Vergleich mit Frankreich, Irland und dem verblüffend hartnäckigen Israel zu ihren Gunsten. Und sicher waren sie erster Profiteur der anfänglichen Krise des vermeintlich indiskutablen Favoriten Frankreich. Wer aber in einem weltumspannenden Sport 15 Monate ohne Niederlage übersteht, dessen Perspektiven sind primär wegen der eigenen Klasse so formidabel -- und wohl nicht das Produkt der Schwächen der Kontrahenten.
Grosses Kino
Im Film-Business würden die Veranstalter vom ganz grossen Kino sprechen. Die Gastgeber wollen gegen die Nummer 6 der aktuellen FIFA-Weltrangliste die Hauptrolle spielen. Daran liessen weder die Spieler noch der Coaching-Staff Zweifel offen. Sie alle wissen um die weitreichende Bedeutung. Im Erfolgsfall könnte die im Schnitt sehr junge Mannschaft zwei Jahre vor der EM im eigenen Land auf der WM-Bühne unbezahlbare Erfahrungen sammeln. Die erste WM-Teilnahme seit 1994 würde im Hinblick auf die Euro im eigenen Land zusätzliche Schubkräfte generieren.
Seit 1993 betreibt der Verband dank grosszügigem Support der CS ein europaweit beachtetes Nachwuchskonzept. Im aktuellen Kader entsprangen zehn Akteure -- u.a. Topskorer Alex Frei, Tranquillo Barnetta, Philippe Senderos, Johan Vonlanthen -- dieser Talentschule. Die Qualifikation für die WM im Nachbarland würde wie vor zwölf Jahren einen erneuten Boom auslösen und zumindest in der Fussball-Szene eine Fortsetzung des Slogans «La Suisse éxiste» schon fast garantieren.
Beschwerlicher Weg
Eine oder zwei schwierige Abendsessionen trennen Köbi Kuhns Mannschaft und ihren immer zahlreicheren Anhang vom grössten Coup seit Jahren. Noch ist nur zu spekulieren, mit welcher Taktik der Coach den Franzosen begegnen wird. Wählt er das System mit nur einer Spitze (Frei) und einer offensiven Dreierkette (Wicky oder gar Vonlanthen, Cabanas und Barnetta) oder hält Kuhn an der bewährten, etwas forscheren 4-3-1-2-Formation mit den Stürmern Frei und Vonlanthen fest?
Kuhn zumindest gab die (nicht neue) Richtung vor, indem er schon 48 Stunden vorher verlangte, dem Weltmeister von 1998 wenig Spielraum zu überlassen, gut im Block zu stehen. Zinédine Zidane, dem angeschlagenen Altmeister, zollte er Respekt, mehr nicht. «Er ist immer ein Spieler, den man auf der ganzen Welt respektiert. Aber am Samstag spielen wir gegen Frankreich, ein Paket hochtalentierter Spieler und nicht gegen Zidane allein.» Die verletzungsbedingten Ausfälle der beiden besten französischen Stürmer Thierry Henry und David Trezeguet wusste der Nationalcoach einzuschätzen: «Es wäre fatal, das als Vorteil zu werten.»
In den letzten Tagen war oft von der ausgesprochen starken Mentalität der jetzigen Nationalmannschafts-Ausgabe die Rede. Nichts trübte das idyllische Bild. Bei jeder Gelegenheit äusserten sich die Beteiligten ungemein positiv zur Ambiance innerhalb der Gruppe. Captain Johann Vogel sagte gar, «nie war die Mentalität einer Schweizer Mannschaft stärker als jetzt.» Daran werden die Spieler und der Trainer, dessen Vertrag früh bis 2008 verlängert wurde, nun gemessen. Die Erwartungshaltung ist enorm. Wem diese Konstellation mehr zusetzt, bleibt abzuwarten.
«Frankreich war häufiger mit solchen ´Finals» konfrontiert«, erkannte Vogel richtig. Und im Stade de Suisse steht von der Charakteristik her ein Final bevor. Dem Faktor Nervenstärke ist mehr als üblich Beachtung zu schenken. Die erwartete Startformation des unpopulären Trainers Raymond Domenech ist eine feine Auswahl von Stammspielern europäischer Topklubs wie Chelsea, Real Madrid, Bayern, Liverpool und Lyon. Die Pflicht zum Effort obliegt eher der Schweiz.