Das Filmfestival Locarno erinnert den Besucher mitunter an einen Ausspruch unserer Erzieher: "Bei diesem schönen Wetter geht man doch nicht ins Kino!" Wenn das so wäre, hätte man heuer in Locarno kaum einen Film gesehen.
Dass viele Kinogänger, die diesen Namen nicht verdienen, ihre Prioritäten tatsächlich so setzen, davon zeugen im Sommer stets die schlechten Ticketverkaufszahlen. Ob man nun in Locarno mehr Zeit im Kino als im Strandbad verbrachte - das Festival ist zu Ende: "Nine Lives" wurde als Siegerfilm erkoren, und nun können die Kritiker Bilanz ziehen, nicht über einen einzelnen Film, sondern über das Festival an sich.
Dieses Festival liebt den Film des Filmes und nicht seines Nebenprodukts wegen, des Startums. Trotzdem war heuer die Stardichte auffallend. Geraldine Chaplin, John Malkovich, Susan Sarandon und Jennifer Jason Leigh: Die Tochter von Orson Welles begleitete die umfassende Retrospektive zu diesem Kino-Giganten. Man hat die Festivalleitung immer wieder bedrängt, mehr Stars nach Locarno zu bekommen.
Nun zeigt sich die Kehrseite: Denn, wenn denn so ein Star zusagt, dann will er auch mit einer Vorführung auf der Piazza geehrt sein. So hat man dieses Jahr statt entdeckungswürdiger neuer Filme manchen alten gesehen, der ohne thematischen Zusammenhang ins Programm genommen wurde. Zwar hätten John Malkovich und auch Regisseur Terry Gilliam neue Filme zu promoten gehabt. Doch die werden an "bedeutenderen", sprich publikumsträchtigeren Festivals, gezeigt, wohin die Filmemacher reisen, sobald sie in Locarno abgefeiert sind.
Den neuen Streifen unseres quasi "hauseigenen" Hollywood-Regisseurs Marc Forster hätte man gern gezeigt - aber auch er musste woanders Premiere feiern. Was uns in Erinnerung ruft, dass das kleine grosse Festival in der Schweiz halt doch noch nicht als grosses kleines Festival von der Filmwelt wahrgenommen wird. Doch der provinzielle Charme hat ja auch viel Gutes. Die technischen Pannen an der Preisverleihung sind allerdings nicht dazu zu zählen.
Dass man Film dann doch nicht zu ernst nehmen sollte, obwohl man ihn nicht ernst genug nehmen kann, diese Dualität verkörpert Terry Gilliam wie kein Zweiter. Der Regisseur hat den Goldenen Leoparden für sein Lebenswerk empfangen, wobei sein Lebenswerk nicht nur aus runden, fertigen Filmen wie "Brazil" besteht. Sein Oeuvre enthält ebenso Filme, die er nie zu Ende führte (oder die zumindest nicht nach seinem Willen fertiggestellt wurden), weil das Geld ausging oder juristische Streitereien begannen.
Darüber hat Gilliam aber nie seinen ausgeprägten britischen Humor verloren. Selbst noch bei der ernsthaftesten Frage an der Pressekonferenz umspielt ein Lächeln seine Mundwinkel, lässt er seiner Antwort ein Stakkato von Ha-Ha-Has folgen. Hat dieser Mann zu viele Monty-Phyton-Sketche geschrieben? Oder ist er einfach so schlau zu erkennen, dass dieses brutale Filmgeschäft zum Lachen ist?
Wie in einem seiner besten Sketche in "Der Sinn des Lebens" gleicht dieser Terry Gilliam dem Kellner, der freudig das Leben bejaht - während gleichzeitig sein fetter Gast ihm auf den Schuh kotzt. Diebisch freut er sich, wenn während der Pressekonferenz zeitweise die Technik zusammenbricht, obwohl das ebenso zu seinem Nachteil ist. Die kleinen Pannen des Lebens sind grosse Gags. Terry Gilliam hat in Locarno gezeigt, dass das Filmgeschäft zum Lachen ist, auch wenn man weinen möchte.