Mario Cipollini im Leerlauf zum Etappensieg Dienstag, 28. Mai 2002 / 18:53 Uhr
Congeliano - So leicht ist Mario Cipollini wohl noch kaum in seiner Laufbahn zum Erfolg in einem Massenspurt gekommen. In Conegliano siegte der Italiener mangels Gegner und dank guter Vorbereitung durch seine Helfer im Leerlauf. Jens Heppner (De) blieb Leader.
Der dreimal zu bewältigende, 4,3 km lange Rundkurs am Schluss
des Tagespensums wäre schon bei trockenen Strassen gefährlich genug
gewesen. Nachdem sich aber der Regen zurückgemeldet hatte, wurde
das Risiko von Stürzen so gross, dass sich die Jury entschloss, die
Zeit bei der ersten Zielpassage zu stoppen.
Nummer 38
Üblicherweise benötigt Cipollini eine schnurgerade
Schlussstrecke, um seine Endschnelligkeit auszuspielen. Diesmal
wurden die Kurven zu seinem Verbündeten. Die Helfer des Italieners
leisteten eine derart gute Vorarbeit, dass Cipollini mit drei
Velolängen Vorsprung aus der letzten Linkskurve herauskam. Danach
konnte er seinen vierten Teilerfolg in diesem Giro nach Münster
(1.), Esch-sur-Alzette (Lux., 3.) und Caserta (9. Etappe) im
Leerlauf geniessen, zumal mit Robbie McEwen (Au) und Ivan Quaranta
(It) zwei seiner Gegner längst nicht mehr im Rennen sind.
Für Cipollini wurde so auf leichte Art und Weise der Giro-
Etappensieg Nummer 38 Tatsache, womit ihn noch drei Triumphe von
der Rekordmarke Alfredo Bindas (41) trennen. Sein vorrangiges Ziel
bestehe darin, am Sonntag nach Mailand zu gelangen, hatte «Super-
Mario» vor dem Start erklärt. Zwei Gelegenheiten bieten sich ihm
also noch, seinen Ruf als bester Strassensprinter der Gegenwart zu
untermauern.
Nach dem Ruhetag gönnte sich das Feld eine ruhige Ausfahrt mit
einem bescheidenen Stundenmittel. Die Lethargie wurde nur durch
Thierry Marichal (Be) durchbrochen, der als Solist eine Weile
voraus fuhr.
Über vier Pässe
«Ich bin zu lange im Geschäft, um nicht realistisch zu sein.
Meine Tage im roa Trikot sind gezählt. Es war ein schönes und
beeindruckendes Erlebnis, eine solche Situation geniessen zu
dürfen.» Für Jens Heppner steht fest, dass es heute Mittwoch im
Giro zu einem Leaderwechsel kommen wird. Der Deutsche ist sich
bewusst, dass er in den Bergen zu limitiert ist, um mit den
Stärksten mithalten zu können.
Im Verlaufe des 16. Tagespensums konzentrieren sich die
Schwierigkeiten auf die letzten 100 der insgesamt 163 km. Aber
diese haben es in sich. Die Forcella Staulanza sowie die Pässe
Fedaia, pordoi und Campolongo müssen von den Fahrern bezwungen
werden. Dies bedeutet 46 km Steigung und 3052 m Höhendifferenz. Von
den Radprofis am meisten gefürchtet ist der Passo Fedaia. Erstens
weil dessen letzte 6 km bis zum Scheitelpunkt konstant mit mehr als
10 Prozent ansteigen, weil zweitens zwei Abschnitte 15 bis 18
Steigungsprozente aufweisen und weil drittens die geradeaus
führenden Strassenstücke dem Fahrer den Eindruck vermitteln, am
Boden zu kleben.
Casagrande im Zugzwang
Wer allerdings der Nachfolger Heppners sein wird, darüber sind
unterschiedliche Meinungen auszumachen. Es kann davon ausgegangen
werden, dass sich in der klassischen Dolomitenfahrt zwei Rennen
ergeben werden: eines um den Etappensieg und eines um das
Gesamtklassement. Gefordert ist in erster Linie Francesco
Casagrande. Der Italiener muss auf seinem bevorzugten Terrain
versuchen, Vorsprung auf seine Gegner herauszuholen. Dies im Wissen
darum, dass ihm Tyler Hamilton (USA) und Cadel Evans (Au) im
Zeitfahren vom Samstag überlegen sind. Wobei allerdings die
Einschränkung anzubringen ist, dass die Prüfung gegen die Uhr von
Numana nicht mit jener in der Agglomeration von Mailand verglichen
werden kann. In Numana waren auf einer anspruchsvollen Strecke die
Allrounder gefragt. Der zweite Test der Wahrheit hingegen wird auf
einem völlig flachen Parcours ausgetragen, der aber deutlich länger
ist.
Es bleibt als Vierter im Bunde Dario Frigo. Er müsse sich
verteidigen, denn sowohl in den Bergen wie gegen die Uhr gebe es
Konkurrenten, die stärker seien als er, meinte der Blondschopf. Der
Italiener steht unter dem Eindruck, nicht mehr ganz so stark zu
sein wie letztes Jahr: «Die lange Inaktivität wegen meiner
neunmonatigen Dopingsperre wirkt sich wahrscheinlich aus. Aber ich
muss die Dinge so akzeptieren, wie sie sind.»
(Toni Nötzli, Conegliano /sda)
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