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Push-Up Politics

Mittwoch, 30. Januar 2013 / 10:58 Uhr
aktualisiert: 11:43 Uhr

Die Causa Brüderle wirft hohe Wellen. X-Tausende von Frauen erzählen vom alltäglichen Sexismus. Gut so. Wichtig so. Richtig so. Auslöser war der FDP-Politiker Rainer Brüderle, der letztes Jahr an der Hotelbar die Stern-Journalistin Laura Himmelreich anbaggerte.

Rainer Brüderle - Politiker oder inkarnierter Altherrenwitz?

Himmelreich machte aus der Begegnung, die sich im Wesentlichen um ihre Oberweite drehte, einen Einstieg zu ihrem vernichtenden Porträt von Rainer Brüderle. Aus der Beschreibung des FDP-Politikers wurde klar, dass Brüderle eigentlich ein inkarnierter Altherrenwitz ist. Also genügend politischer Stoff, um darüber zu sinnieren, wie es möglich ist, einen solchen Mann zum Hoffnungsträger der FDP zu küren.

Das Brüderle-Porträt von Laura Himmelreich zeigte: Hier läuft was schief in Deutschland. Dies hätten die Journalisten schon seit Jahren merken und kommentieren und hart diskutieren sollen. Doch niemand interessierte, was die Politiker so von sich geben, bis eine Journalistin, aus persönlichen Motiven, da peinlich angesabbert, zu recherchieren begann. Diskutieren ihre Journalistenkollegen lieber die Umfragewerte der Parteien und halten sich an die klassischen Männerregeln, Geschäft ja, doch beim Bier nein, vergass Himmelreich nie ihren Job. Mit einer konzentrierten Totalität, wie sie vielen Frauen zu eigen ist, die wissen, dass sie aus der Defensive heraus jedes Machtdetail studiert müssen, um zu überleben, erinnert sich Himmelreich an jede Barbegegnung, an jede Gestik, an jede Kommunikation. Ich bin sicher, dass Himmelreich ein ganzes Dossier über all die Menschen besitzt, die sie während ihrer Journalistenzeit getroffen hat. Die Unbarmherzigkeit des Blicks auf Menschen habe ich bei Frauen schon oft beobachtet und erkläre sie mir nur damit, dass aus der Position der Schwäche jedes Detail absorbiert werden muss, damit die Schlacht doch noch gewonnen werden kann.

Himmelreich bringt in die Inszenierung der deutschen Politik eine personalisierte Nuance - ein Phänomen, das wir aus den USA kennen: Das Persönliche ist die einzige Politik. Schauen Journalisten bei einem Politiker gerne auf die Karriere, konzentrieren sich Journalistinnen gerne auf Persönliches.

Himmelreichs Porträt und die daraus folgende Diskussion über Sexismus in Deutschland markiert wirklich den Paradigmenwechsel: Deutschland ist rein medienpolitisch im Januar 2013 endgültig zum Trabantenstaat der USA mutiert. Politik spielt dort schon seit längerer Zeit auch an den öffentlich-rechtlichen Anstalten eine untergeordnete Rolle. Wie in den USA werden politische Themen als Skandale, Episoden und Empörungen abgehandelt - nachhaltiger Lern- und Wissenseffekt sowie gehaltvoller Inhalt tendieren meist gegen Null. Es fehlen die grossen Diskussionsrunden zwischen Intellektuellen und Politikern wie sie beispielsweise in Frankreich völlig gang und gäbe sind. Laura Himmelreichs Porträt ist der Abschluss einer langen Zersetzung der politischen Kultur in Merkels Deutschland und gleichzeitig Auftakt zu einer neuen, schönen Welt amerikanischer Interessendiktatur bei gleichzeitigem Schüren von Angst und Amok. Benjamin Barber hat diese völlig Unterhöhlung der Demokratie durch die Medien in den USA in seinem Buch «Jihad vs McWorld» zur Sprache gebracht.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich finde Brüderles sexistisches Benehmen nicht mal im Ansatz irgendwie akzeptabel und habe in den letzten Jahren, ohne Rückhalt von Twitteraktionen unendlich viel Mut gehabt, genau diese Art von Chauvinismus zu demaskieren. Doch das wirklich Üble an Brüderle ist nicht nur sein Machoumgang mit Frauen - sorry, der Mann ist 67jährig und Deutscher, was erwarten wir eigentlich? - sondern seine neoliberale Politik, die jeder Frau massiver schadet als blöde, sexistische Anmachsprüche gegenüber einer Journalistin.

Dies geht jedoch in der Oberweitendiskussion völlig verloren. Dies geht auch in der Sexismus-Diskussion völlig verloren. Was wir hier erleben ist die völlige Entpolitisierung des Diskurses. Liebe Menschen: Sexismus hat in erster Linie nichts mit Männern und Frauen, sondern mit der Machtverteilung zu tun. Wird, wie jetzt überall auf deutschen Kanälen und via Twitter belegt, manifest, dass unzählige Mädchen und Frauen sich entwürdigender Behandlung durch Männer aussetzen müssen und darunter eventuell ein Leben lang leiden, der Schluss gezogen, dass Männer Schweine sind, weil sie Männer sind, dann haben die Eugeniker, die Biologisten und die Rassentheoretiker endlich gewonnen. Dann haben Alle recht, die behaupten, die Massenvergewaltigungen im Krieg entsprächen den biologischen Bedürfnissen der Männer, wenn doch absolut klar ist, dass Massenvergewaltigungen Machtdemonstrationen, der Demoralisierung des Feindes, kurz einer eigentlichen Kriegsstrategie dienen.

Ich weiss. Die Sexismusdebatte in Deutschland tut vielen Frauen gut. Endlich können viele ausdrücken, was sie jahrzehntelang erdulden mussten. Auch ich fühle Erleichterung, wenn ich meine unzähligen Entwürdigungen und Karrierebehinderungen mit der Scham anderer Frauen teilen kann und merke, ich bin nicht allein.

Dies ist wichtig und gut. Es soll und darf aber nicht davon abhalten, im Sexismus klar die Verletzung von Menschenwürde, Gerechtigkeit, Partizipation zu verorten, statt in der Biologie der Akteure.

Es gilt, das Wesentliche im Auge zu behalten: Nicht die Tatsache, dass Brüderle ein, aus der Sicht von Laura Himmelreich, schlechter Mensch ist, sollte uns davon abhalten, ihn zu wählen, sondern weil er für ein politisches Programm steht, das jede Menschlichkeit und Gerechtigkeit verneint. Wird Brüderle nur abgewählt, weil er als 67jähriger betrunkener Sabbermann eine junge Frau angebaggert hat, dann unterhöhlen wir die Demokratie. Denn dann bestimmen nicht mehr die eigentlichen Handlungen der Menschen das Urteil über Politik, sondern deren Charakter, wie er uns von Journalistinnen und Journalisten übermittelt wird. Bestimmen wir die Politik nicht aufgrund ihrer Gestaltungsmöglichkeit, sondern als Bühne für das dort von den Medien angestellte Personal, dann gute Nacht! (Regula Stämpfli/news.ch)


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