Die in Verfassung und Menschenrechtskonvention stipulierte Religionsfreiheit ist ein Abwehrrecht gegen eine staatliche Einschränkung der Religionsausübung. Sie gibt kein Recht auf staatliche Sonderbehandlung und schon gar kein Recht, die Religionsausübung so weit zu fassen, dass daraus jegliches Verhalten im öffentlichen Raum als Religionsausübung reklamiert werden kann und damit toleriert oder gar unterstützt werden müsste.
Wer aus religiösen Gründen kein (Schweine-)Fleisch isst, hat ein Recht darauf, dass staatlich geführte und subventionierte Verköstigungsstellen täglich - und nicht nur in katholischer Tradition freitags - (schweine-)fleischlose Gerichte anbieten. Wie weit ins Detail man hier noch gehen will, proben derzeit die Veganer, die auch gänzlich tierfreie Angebote fordern.
Wer verschleiert durchs Leben gehen will, zeigt hingegen an, sich nicht in die Gepflogenheiten in der westlichen Welt einfügen zu wollen, sich also bewusst nicht zu integrieren. Dieses Recht hat frau. Aber daraus erwächst nicht das Recht, überall in dieser Aufmachung zugelassen zu werden, gar willkommen zu sein, oder etwa soziale Unterstützung zu erhalten, wenn frau so keine Arbeit findet.
Wer sich dem Anblick westlicher Bademode nicht aussetzen will, kann das, indem er/sie keine Orte besucht, wo das unübersehbar ist. Er/sie hat aber kein Recht auf separate Öffnungszeiten in öffentlichen Bädern, wie das kürzlich in der deutschen Stadt Menden vom Integrationsrat (sic!) gefordert wurde.
Modell für religiös begründete Sonderbehandlungswünsche stehen in der Schweiz die in fast allen Kantonen leider nicht nur rechtlich zugelassenen sondern rechtlich privilegierten «Landeskirchen». Ihnen werden Extrawürste in Form von finanziellen Zuschüssen, Steuerbefugnissen, Mitwirkungsrechten und vor allem privilegierten Zugriff auf Personen (Seelsorge in Spitälern, Gefängnissen etc.) und Personendaten zugestanden.
Noch können sich die «Landeskirchen» auf eine stetig abnehmende Mehrheit von derzeit 64 Prozent in der Bevölkerung stützen (siehe Link Strukturerhebung 2013). Als Muslime bezeichnen sich in dieser Erhebung fünf Prozent, ebenso viele gehören offenbar anderen christlichen Gemeinschaften an. Die am stärksten und stetig wachsende Gruppe der Konfessionsfreien (2013: 22 Prozent) wird in wenigen Jahren die Zahl der im gleichen Masse schrumpfenden Reformierten (2013: 38 Prozent) einholen.
Gegen den absehbaren Verlust der absoluten Mehrheit dürften also für die «Landeskirchen» weder die Rede vom «Islam als Schweizer Religion» noch der Schulterschluss mit den (nur zu ca. 10 Prozent religiös organisierten) Muslimen ein Heilmittel sein.
Das geltende Religionsrecht ist ein Produkt der schweizerischen Religionsgeschichte. Angesichts der aktuellen Religionsstatistik stellt sich heute die Frage, in welche Richtung es weiterentwickelt werden soll. Diese rechtspolitische Debatte wird angeführt von Professoren der katholisch geprägten Universitäten Luzern und Fribourg. Steigbügelhalter für den «Landesislam» an der Uni Fribourg spielt der Basler Unirektor und Ägyptologe Antonio Loprieno (selber Waldenser, d.h. italienisch reformiert).
Wenn die Konfessionsfreien hier nicht klar Gegensteuer geben, werden die bestehenden rechtlichen Privilegien einfach auf weitere Religionsgemeinschaften ausgedehnt. Dominiert wird die Debatte nämlich gar nicht von rechtlichen Überlegungen, in denen die weltanschauliche Neutralität des säkularen Staates im Vordergrund stehen müsste, sondern vom schwammigen soziologischen Begriff der «Integration». Er wird besonders gerne verwendet, wenn PolitikerInnen - völlig faktenfrei - Religionsführer wegen ihrer bedeutenden Rolle für den Zusammenhalt in der Gesellschaft loben. Sie beschwören damit einen Mythos und vernebeln die Sicht auf die eigennützige Strategie der Religionsgemeinschaften.
So etwa Ständeratspräsident Claude Hêche bei einem kürzliche Treffen mit dem - in der Politik in keinster Weise präsenten, da völlig mit sich selber beschäftigten - Rat der Religionen. Hêche strich die «wichtige Rolle der Religionsgemeinschaften» heraus und ihren Beitrag «zu einem friedlichen Zusammenleben und zum Respekt vor den Grundwerten der Bundesverfassung, wie der Gewissens- und Glaubensfreiheit,» weshalb sie «wichtige Partner der politischen Behörden» seien.
Wichtiger Partner? Politisch richtiger aber weniger «korrekt»: Verbände sind immer Interessenverbände. Der Rat der Religionen ist ein Verband unter ganz ganz vielen: Er ist der Verband der Produzenten von religiösen Extrawürsten.
Integration hingegen bemisst sich aber gerade nicht an der Anzahl erfüllter religiöser Sonderbehandlungswünsche und der daraus möglicherweise resultierenden Parallelgesellschaften, sondern an der politischen und sozialen Teilhabe aller Menschen in der Gesellschaft.
http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/01/05/blank/key/religionen.html