Südkorea: «Guus Hiddink for President» Mittwoch, 19. Juni 2002 / 14:38 Uhr
Seoul - Die Begeisterung um Erfolgscoach Guus Hiddink kennt in
Südkorea keine Grenzen mehr. Nach dem sensationellen Viertelfinal-
Einzug soll der Holländer mit der Ehrenbürgerschaft beschenkt
werden. Einige sehen in ihm sogar den neuen Staatspräsidenten.
Die vergangenen drei Wochen haben Südkoreas Fussballwelt auf den
Kopf gestellt. Als erster Gastgeber gehandelt, der die zweite Runde
verpassen würde, schockten die Asiaten inzwischen die Fachwelt mit
drei blitzsaubern WM-Siegen über die weitaus stärker eingestuften
Polen, Portugal und Italien. Millionen von Fans feierten erst den
ersten WM-Sieg, dann das erstmalige Erreichen der zweiten Runde und
seit Dienstag nun den sensationellen Viertelfinal-Einzug.
Trotz der unglaublichen Euphorie im 48-Millionen-Land wurde nicht
vergessen, wem diese Erfolge in erster Linie zu verdanken sind.
Selbst Staatspräsident Kim Dae Jung wusste unmittelbar nach dem
Spiel, das er nicht live im Stadion mitverfolgt hatte, wem er seine
Freude kundtun musste. «Ich bin sehr stolz. Vielen Dank. Sie und
die Mannschaft haben ein grosses Ziel erreicht», teilte er Hiddink
am Telefon mit. Das Weiterkommen Südkoreas symbolisiere die
Bestimmung des Landes für unbegrenzten Wohlstand und Stärke.
Dass Kim dereinst Konkurrenz durch Hiddink erhalten würde, ist
allerdings nicht anzunehmen, auch wenn Fans im Stadion am Dienstag
auf Spruchbändern gefordert hatten: «Hiddink for President». Eher
wahrscheinlich dürfte aber die Verleihung der Ehrenbürgerschaft an
den Holländer werden. Zwar muss zuvor noch ein Gesetz abgeändert
werden, das diese Verleihung erst möglich macht, doch das dürfte in
der momentan herrschenden Euphorie kein Problem sein. Die
Universität von Sogang hat bereits auch vorgeschlagen, Hiddink mit
einem Ehren-Doktortitel auszuzeichnen.
Hiddink habe bewiesen, dass er ein Experte im Team-Management
sei, sagen die Professoren der Uni. Auch Manager grosser Firmen
sind auf die Fähigkeiten des Holländers aufmerksam geworden. Unter
dem Titel «the Hiddink way» soll der Nationalcoach künftig Manager
grosser Industrie-Betrieb mit Referaten im Stil des Schweizer
Eishockey-Lehrers Ralph Krueger weiterbilden.
Hiddink selber kümmert den momentan Rummel um seine Person
wenig. Der frühere Teamchef der Holländer bleibt auf seine Arbeit
konzentriert, die ihn am Samstag auf Spanien treffen lässt.
Informationen über den Gegner benötigt er indes kaum mehr.
Schliesslich arbeitete er in den neunziger Jahren als Trainer von
Valencia, Real Madrid und Betis Sevilla. Nach dem Meistercuperfolg
mit dem PSV Eindhoven 1988 steigerte er sich mit den Madrilenen
zehn Jahre später zum Weltcupsieger.
Erst im Januar 2001 wurde der 55-Jährige vom südkoreanischen
Verband engagiert. Er sagte allerdings erst zu, als ihm
wichtige Bedingungen erfüllt wurden. Hiddink wollte seinen
Trainerstab selber zusammenstellen. Er verlangte zudem, dass ihm
die Nationalspieler unbeschränkt zur Verfügung zu stehen haben, er
also bei den Klubs nicht auf Bittgang gehen werde. Dann machte er
sich an die Arbeit: Erst wurden die Teamsenioren ausgemustert,
welche sich über die Jahre eine Machtstellung erarbeitet hatten,
die jeglichen Konkurrenzkampf unterdrückte und auch die
Kommunikation im Team zwischen Jung und Alt verunmöglichte.
Danach liess er seine Spieler während Monaten nur Kondition
büffeln. Das Resultat ist nun ersichtlich. Keine andere Mannschaft
an dieser WM scheint über mehr Ausdauer, Speed und Kraft zu
verfügen. Und schliesslich liess er die Mannschaft vor der WM nur
gegen überlegene Widersacher spielen, um wertvolle Erfahrungen zu
sammeln und die Spieler nicht genügsam werden zu lassen.
Hiddink hatte System und Taktik geändert, kurzerhand auf Stars
verzichtet, wenn diese nicht mitziehen wollten und jegliche Kritik
in den Medien nach den ersten Negativ-Resultaten ignoriert. Vor
einem Jahr unterlag Südkorea Weltmeister Frankreich im
Konföderationencup noch mit 0:5. Kurz vor der WM im Mai setzte es
nur noch eine knappe und unglückliche 2:3-Niederlage ab. «Ich
wählte bewusst den schwierigen und beschwerlichen Weg und war auf
Kritik vorbereitet. Doch ich war mir sicher, dass ich genau diesen
Weg gehen musste.»
«Erst rannten sie wie Hühner herum, bis sie meine Organisation
begriffen hatten. Danach wurde das Team in jedem Spiel besser.
Inzwischen komme ich selber kaum mehr aus dem Staunen heraus. Das
ist einmalig.» Hiddink hat das Geheimnis dieser Leistungssteigerung
inzwischen entschlüsselt: «Die Koreaner haben eine grosse
Fähigkeit: Sie sind lernbegierig und fähig, sich innert kürzester
Zeit anzupassen. Wie schnell sie den internationalen Standard
annahmen, zeigen sie nun an dieser WM.»
Inzwischen hat er eine grosse Sorge: «Es gäbe zwar genügend
Grund für die Spieler, die grossen Erfolge zu feiern, doch ich
will, dass sie weiter hungrig bleiben, um noch mehr herauszuholen.»
Angesichts der Euphorie in den Medien und auf der Strasse wird es
für Hiddink jedoch immer schwieriger, die Uhr anzuhalten und den
Spielern das Festen zu verbieten. Vielleicht kann Spanien am
Samstag davon profitieren. (eh/sda)
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